Change Management ist ein entscheidender Prozess in jeder Organisation, der darauf abzielt, Anpassungen reibungslos und effektiv zu gestalten. Jedoch neigen Menschen dazu, sich gegen Veränderungen zu wehren, selbst wenn diese potenziell vorteilhaft sind. Diese Neigung, bekannt als Status-Quo-Bias (SQB), führt oft dazu, dass bestehende Zustände bevorzugt und Veränderungen gemieden werden. Dieser Artikel beleuchtet die psychologischen Hintergründe dieser Widerstände und wie Change Management dabei helfen kann, sie zu überwinden.
Wurzeln des Widerstands gegen Veränderungen
Kognitive Verzerrungen (engl. „Biases“) werden Menschen und anderen Säugetieren genetisch in die Wiege gelegt. Unseren Urahnen halfen Biases bei der Bewältigung des Alltags und auch heute noch profitieren wir von den „Ressourcen-schonenden Abkürzungen“ in unseren Denkwegen. Anstatt unser Typ-2-Denken zu aktivieren, eine Situation zu analysieren und dann zu einer logisch-fundierten Entscheidung zu kommen, reicht es in der Regel im Alltag aus, intuitive Entscheidungen des Typ-1-Denkens zu verwenden (vgl. Kahneman, 2011 und Stanovich, 2011). Gleichzeitig führen kognitive Verzerrungen aber auch negative Konsequenzen herbei, beispielsweise wenn wir vor kalkulierbaren Risiken zurückschrecken, einen einzelnen nachteiligen Moment zu einem „schlechten Tag“ aufblasen oder doch wieder und wieder dieselben Methoden zur Lösung eines „unlösbaren“ Problems benutzen, anstatt flexibel auf eine andere Methode zu wechseln.
Diese kognitive Verzerrung ist als „Status-Quo-Bias“ bekannt. Der SQB beschreibt die menschliche Tendenz, bekannte Muster und Verhaltensweisen gegenüber Neuem und Unbekanntem zu bevorzugen. Er wird durch mehrere kognitive Verzerrungen unterstützt (Bennett, 2023):
- Verlustaversion: Menschen gewichten potenzielle Verluste stärker als gleichwertige Gewinne, was dazu führt, dass sie Risiken vermeiden und am Status quo festhalten. „Der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach.“
- Negativitätsdominanz: Negative Erfahrungen werden intensiver wahrgenommen als positive, was dazu führt, dass Veränderungen, die potenziell negative Konsequenzen haben könnten, stärker gemieden werden. Es geht hier um das sprichwörtliche „Haar in der Suppe“ oder „den faulen Apfel, der den ganzen Korb verdirbt.“
- Angst vor Unbekanntem: Die Unsicherheit, die mit Veränderungen einhergeht, erzeugt Angst und führt dazu, dass Menschen bekannte, wenn auch suboptimale, Zustände bevorzugen. Im Englischen gibt es hier das Sprichwort: „Better the devil you know.“
Strategien zur Überwindung von Biases im Change Management
Um die kognitiven Verzerrungen und den Status-Quo-Bias zu überwinden, können u.a. folgende psychologisch fundierte Strategien eingesetzt werden:
„Awareness“ schaffen und rationale Argumentation fördern
Ein erster Schritt im Change Management ist es, ein Bewusstsein für die Notwendigkeit und die Vorteile der Veränderung zu schaffen. Dies kann durch klare Kommunikation der Ziele und Visionen erreicht werden. Menschen können beispielsweise durch ein starkes „WARUM der Change stattfindet“ erreicht und motiviert werden (vgl. Sinek, 2009).
Zeitgleich kann das 4-Türen-Modell nach Clarke (2010) dabei helfen, auf die neuen Möglichkeiten einzugehen und dabei Verlustängste offen anzusprechen: „Was ist heute möglich und wird nach dem Change auch noch möglich sein?“, „Was war vorher nicht möglich und wird nach dem Change auch nicht möglich sein?“, „Was war vorher möglich und wird danach nicht mehr möglich sein?“ und schließlich „Was war vorher nicht möglich, wird aber danach möglich sein?“ In der Essenz geht es darum, durch gezielte Kommunikation jeden Menschen mit seinen Sorgen, Ängsten, Wünschen und Hoffnungen zu erreichen und abzuholen.
Wer einen Schritt weitergehen möchte, kann seinen Mitarbeitern Workshops und Trainings anbieten, welche kognitive Verzerrungen thematisieren (Stephens, 2020). Mithilfe rationaler Faktenchecks kann man die Teilnehmer unterstützen, negative Wahrnehmungen und Ängste zu mindern. Dadurch können beispielsweise innovatives Verhalten oder eine offenere Kommunikation gefördert werden. Übrigens helfen eine rationale Argumentation und Austausch auch außerhalb eines Workshops dabei, mit Ängsten umzugehen.
Offene Feedback- und Fehlerkultur etablieren
Wir müssen uns nichts vormachen: Jede Veränderung birgt auch Risiken und weckt Ängste oder Sorgen. Diese gilt es, förderlich zu adressieren. So gibt man den Mitarbeitern das Gefühl, gehört zu werden und Teil des Changes zu sein. Eine Kultur, in der Feedback und Fehler offen kommuniziert und besprochen werden können, fördert die psychologische Sicherheit der Mitarbeiter. Dies baut Widerstände ab und ermutigt die Mitarbeiter, Veränderungen anzunehmen und sich aktiv an deren Umsetzung zu beteiligen (Rantanen, 2023). In einer offenen Kommunikationskultur, in der Feedback vertikal wie auch horizontal erwünscht ist und gefördert wird, trauen sich Kollegen, auch Mal eine negative Meinung oder Gefühl zu äußern.
Zwei Best Practices sind hier die Einbeziehung der Mitarbeitern in Entscheidungsprozesse (vgl. Härle, 2016) und eine „Community of Practice.“ Generell scheint ein demokratischer Entscheidungsprozess, in dem verschiedene Perspektiven zur Sprache kommen, Biases entgegenzuwirken und einen verbesserten Entscheidungsprozess zu fördern. Sofern eine demokratische Entscheidung nicht möglich oder sinnvoll ist, kann ein Team in Entscheidungsprozessen aber immer noch von der Rolle des „Advocatus Diaboli“ profitieren, der bewusst die Gegenseite argumentiert. Die Community of Practice hingegen bietet einen Raum für Austausch über „harte Nüsse“ oder auch „Lessons Learned.“ Durch die offene Besprechung von schwierigen Fällen oder Fehlern, kann man diesen Szenarien einen positiven Spin geben und Vorteile für alle daraus generieren.
Einbeziehung der Mitarbeiter in den Change
Alle genannten Methoden zielen auf eines ab: Die Einbeziehung der Mitarbeiter! Für Menschen gibt es kaum eine Situation, die so viel Stress auslöst und unerträglich wirkt, wie durch Fremdbestimmung die eigene Umwelt in Gefahr zu sehen. Daher ist es wichtig, die Mitarbeiter aktiv in den Change-Prozess einzubeziehen. Dies kann durch verschiedene Ansätze erreicht werden, wie beispielsweise regelmäßige Meetings oder Q&A-Sessions, in denen Mitarbeiter ihre Ideen und Bedenken äußern können. Eine zweite Methode ist die Implementierung von anonymen Feedback-Schleifen, die sicherstellen, dass Rückmeldungen wahr- und ernstgenommen und in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Man kann das gesammelte (anonyme!) Feedback dann sogar in den Q&A-Sessions zur Sprache bringen und so zwei Prozesse erschaffen, welche sich gegenseitig fördern. Durch die aktive Einbeziehung der Mitarbeiter fühlen sich diese wertgeschätzt und als Teil des Wandels, was ihre Akzeptanz und ihr Engagement für den Veränderungsprozess erheblich steigert.
Die Rolle des Change Managements
Change Management spielt eine entscheidende Rolle dabei, Menschen in Organisationen bei der Anpassung an Veränderungen zu unterstützen. Es bietet strukturierte Methoden und Werkzeuge, um Veränderungen zu planen, durchzuführen und zu kontrollieren. Schlüsselstrategien umfassen:
- Kommunikation: Klare und transparente Informationsweitergabe über den Zweck und die Vorteile der Veränderung.
- Partizipation: Einbeziehung der Mitarbeiter in den Veränderungsprozess, um deren Bedenken und Ideen zu berücksichtigen.
- Unterstützung: Bereitstellung von Schulungen und Ressourcen, um den Mitarbeitern zu helfen, neue Fähigkeiten zu entwickeln und sich an die Veränderungen anzupassen.
Für Change Management Consultants wie mich ist dies tägliche Arbeit. Mein Team und ich helfen unseren Kunden dabei, Methoden wie beispielsweise die oben vorgestellten gezielt zu planen und umzusetzen, um die Adoption und den Change so angenehm wie möglich zu gestalten. Dadurch bauen wir Widerstände ab, erreichen die Mitarbeiter und rücken den Menschen ins Zentrum des Wandels.
Quellen:
Print
Bennett, B. 2023. The Biased Brain – A Comprehensive Exploration of Cognitive Distortions. Archieboy Holdings.
Kahneman, D. (2011). Thinking, fast and slow. Farrar, Straus and Giroux.
Rantanen, M., (2023). Debiasing Operational Planning in Business Enabling Functions. Laurea University if Applied Sciences, Master Thesis.
Sinek, S. (2009). Start with why: How great leaders inspire everyone to take action. Portfolio.
Stanovich, K. (2011). Rationality and the Reflective Mind. Oxford University Press.
Stephens, T. (2020). Cognitive Debiasing: Learning to “Change Your Mind.” Nurseleader, Volume 18, Issue 4, S.344-351.
Online
Clarke, J. (2010). TEDxPerth – Jason Clarke – Embracing Change.
Härle, P., Havas, A., Samandari, H. (2016). The Future of Bank Risk Management. McKinsey & Company. The future of bank risk management | McKinsey